Vormundschaft abgeschafft

Die SPD AG 60plus beschäftigte sich auf ihrer vergangenen Sitzung in Gelnhausen mit dem Thema Betreuungsrecht. Michael Schell, Vorsitzender, der sozialdemokratischen Kreissenioren wies darauf hin, dass nicht nur die Älteren sondern auch die Jungen bei dieser Fragestellung mit vielen Vorurteilen behaftet sind, obwohl alle gerne Vorsorge treffen wollen.

 

Um diese Unsicherheit auszuräumen, hat die Seniorenarbeitsgemeinschaft der SPD im Main-Kinzig Kreis zur Behandlung dieses Themenkomplexes eingeladen. Der Vorstand konnte als sach- und fachkundige Gesprächspartnerin die im Betreuungsrecht tätige Rechtsanwältin Bettina Müller, die sich um das Bundestagsmandat im Wahlkreis 175 bewirbt, und Herrn Diplomsozialpädagogen Heribert Kornherr von der Betreuungsstelle des Main-Kinzig Kreises gewinnen.

 

Bettina Müller referierte über Kerninhalte des Betreuungsrechts. Dabei stellte sie als wesentliche und zentrale Anforderungen an die Betreuung heraus:

 

–          Der persönliche Kontakt zwischen Betreuer und Betreutem ist das A& O

–          Auch bei stärkster Behinderung des Betreuten darf der Betreuende nicht über „dessen Kopf hinweg“ Entscheidungen treffen

–          Vorrangige Aufgabe des Betreuers ist es, das Wohl des Betreuten zu sichern und gemäß seiner Wünsche zu handeln sowie auch seine „mutmaßlichen Wünsche“ herauszufinden und entsprechend zu entscheiden.

 

Dieses zentrale Statement löste eine intensive und äußerst engagierte Aussprache aus, in der eigene persönliche Erfahrungen mit der derzeitigen Betreuungspraxis sowie Informationen aus Nachrichten, Fernsehreportagen über das Betreuungswesen in Deutschland vorgebracht wurden.

 

Stichworte dieser Aussprache waren „Pflegenotstand und dessen Auswirkungen auf die Pflegepraxis“, „rechtliche Aspekte der Fixierung“, „Umgang mit Ersparnissen und Geldvermögen des Betreuten, Girokonto und Sparbücher“, „wer darf Betreuung anregen, wer beantragen?“, „freiheitsentziehende Maßnahmen“ u.ä.

 

Was die Berichte über TV-Reportagen angeht, äußerte sich Bettina Müller eher kritisch. Das Fernsehen zeige – dies sei überhaupt das prägende Merkmal der Berichterstattung in den  Medien – zumeist sehr extreme Negativfälle. Es sei riskant, diese zu verallgemeinern. Sie seien kein Abbild der Alltagsrealität der Betreuung in Deutschland.

 

Diplomsozialpädagoge Heribert Kornherr von der Betreuungsstelle des Main-Kinzig Kreises erklärte ausführlich an praktischen Beispielen den Unterschied zwischen „Antrag“ und „Anregung“. „Es ist nicht so, das betroffenen Persönlichkeiten ihr persönliches individuelles Entscheidungsrecht entzogen werden kann oder wird“, so Kornherr.  Er betonte, dass es nur ein „reduziertes Antragsrecht“ gebe. Und, wenn es denn notwendig wird, dass ein Betreuer oder eine Betreuerin bestellt werden muss, hat diese Person nur ein sehr eingeschränktes Recht Entscheidungen für die betroffene zu betreuende Person zu fällen, wie schon Frau Müller erklärt hat.

 

Grundsätzlich ist geregelt, dass, ohne richterliche Zustimmung, keine wesentlichen Entscheidungen getroffen werden dürfen. Auch gibt es seit 1992 keine Entmündigung mehr.

 

Kornherr bestätigt dies nachdrücklich und skizziert dafür die vielen Verfahrensschritte, Anhörungen und Entscheidungen, welche in einem Betreuungsverfahren zur Wahrung der Rechte der Betroffenen notwendig sind. „Für alle Eingriffe wie z.B. Vermögensangelegenheiten wird ein Gerichtsbeschluss benötigt“, ergänzt Müller. Hinsichtlich des Umgangs mit Geld und dem allgemeinen Vermögen gilt, wie Bettina Müller konstatiert, dass der Betreuer verpflichtet ist, Geld und Vermögen „wirtschaftlich zu verwalten“. Rund ein Drittel aller Betreuungsfälle werden von Krankenhäusern angeregt, teilte Heribert Kornherr ergänzend mit.

 

Hinsichtlich der Fragestellung, wer eigentlich die Bestellung eines Betreuers vornehme, erklärt Heribert Kornherr dazu, dass hierbei die Betreuungsstelle Vorschläge unterbreite und dass das Gericht auf dieser Grundlage auswähle und bestelle. Er führt weiter aus, dass es in Deutschland derzeit rund 1,3 Millionen Betreuungsfälle gebe, die wie folgt betreut werden:  57 % von Familienangehörigen, 6 % von ehrenamtlichen, die nicht Angehörige sind, 6 % von  Betreuungsvereinen und 31% von Berufsbetreuern. 1999 waren es noch 62% Familienangehörige und 9% sonstige ehrenamtlich tätige, die Betreuungen geführt haben.

 

 

Bettina Müller führte weiter aus, dass die Zahl der Betreuungsfälle in Deutschland kontinuierlich steige. Das sei u.a. auf die Auflösung traditioneller Familienverbände, auf die demographische Entwicklung (immer mehr Menschen werden immer älter) und auf den Trend zum Single-Leben zurückzuführen.  

 

In wachsendem Maße erstrecke sich die Betreuungsnotwendigkeit auch auf jüngere Menschen. Immer mehr Menschen in der Betreuung seien mittellos. Die Rechtsanwältin weist darauf hin, dass ihre Kolleginnen und Kollegen nur „rechtliche Betreuer“ seien. Deren  Betreuung erstrecke sich nicht auf Hilfsleistungen in der alltäglichen Lebensführung. Daran erkenne man, dass Betreuung durch einen bestellten Rechtsanwalt und Hilfestellung im Alltag unterschiedlich geregelt sind.

 

Sieglinde Lorenz, vom Vorstand der AG 60Plus  greift dieses Stichwort auf und berichtete aus ihrer praktischen Arbeit. Oft sind Einrichtungen, in denen die zu Betreuenden leben, wegen Personalknappheit und auch Familienangehörige, die die zu Betreuenden in ihrem heimischen Umfeld behalten wollen, zeitlich überfordert. „Ich bin mit anderen dabei, eine Art Besuchsdienst einzurichten, für die Erbringung ganz praktischer Alltagshilfen“, so Lorenz. Alle Anwesenden lobten solche Initiativen und wollen sich auch einbringen.

 

„In unserer älter werdenden Gesellschaft müssen die Politiker umdenken, Verantwortung übernehmen. Auch sie werden älter, wahrscheinlich älter, als alle, die hier sitzen. Die Mitbürgerinnen und Mitbürger haben mit ihrer Arbeitskraft, Steuerzahlung, Abgaben zur Sozialversicherung dazu beigetragen, dass die medizinische Vorsorge, das Bewusstsein für Gesundheit und die regelmäßigen Anregungen und Vorsorgemaßnahmen der Krankenkassen erst ermöglicht wurden“, so Michael Schell, Vorsitzender der Senioren AG im Main-Kinzig-Kreis und selbst Sozialwissenschaftler abschließend