Eins steht fest: zum Sonntagsbraten gehört eine ordentliche Soße und eine Sonntagsrede. In der reden wir uns den dampfenden Braten dann schön. Je nach Bratenstück malen wir uns aus, wie die treue Kuh nach einem friedlichen Leben auf der Weide vom örtlichen Metzgermeister liebevoll und fachgerecht zum Tafelspitz verarbeitet wurde. Das Backhendl, so glauben wir gerne, flatterte gestern noch fröhlich auf dem Nachbarhof herum. Und das Mastschwein, so machen wir uns vor, hat uns erst nach jahrelangem, genüsslichem Apfelfuttern in seliger Dankbarkeit seinen Hinterschinken zum Essen angeboten. Und für das alles, davon sind wir überzeugt, gibt es gesetzliche Regelungen.
Aber wie das mit Sonntagsreden meist so ist: Wir nehmen sie selber nicht ernst, jeder kennt oder ahnt zumindest die traurige Realität. Wir wissen genau, dass unser Fleisch weit überwiegend ein Produkt industrieller landwirtschaftlichen Erzeugung ist. Und die hat herzlich wenig mit Bauernhofidylle und Tierwohl zu tun, umso mehr aber mit knallharter Betriebswirtschaft und Produktionsoptimierung. Anders als mit Intensiv- und Massentierhaltung wäre der Sonntagsbraten für 4 Euro 99 als Lockvogelsonderangebot im Supermarkt nämlich gar nicht möglich. Und trotz des im Grundgesetz verankerten Staatsziels Tierschutz sind weiterhin viele blutige und grausame Praktiken erlaubt von der Amputationen von Schnäbeln und Schwänzen, über das Kükenschreddern bis hin zur Qualzucht. Da bleibt einem schnell der Sonntagsbraten im Halse stecken.
Zwar nimmt die Zahl derjenigen stetig zu, die abseits von den Sonntagsreden beim täglichen Einkauf tatsächlich stärker auf Aspekte wie Haltungsbedingungen, Tierwohl, Klima und Umweltschutz, Antibiotikaeinsatz oder Fütterung mit gentechnisch veränderten Futtermitteln achten. Das ist aber leider noch immer eine Minderheit und sie hat es immer noch schwer, sich im unübersichtlichen Dschungel aus echten Bio-Labels, Tierwohlsiegel, freiwilliger Zertifizierung und oft dreistem Etikettenschwindel zurecht zu finden.
Ich finde, hier muss als erstes angesetzt werden, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher durch eine klare und verlässliche Kennzeichnung auf dem ersten Blick erkennen können, wie die Tiere gehalten werden und woher ihr Sonntagsbraten wirklich stammt. Dadurch erhalten auch die Landwirte die Chance, ihre Tiere artgerechter zu halten und dafür fair entlohnt zu werden. Diese Kennzeichnung darf aber nicht, wie von Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt jetzt vorgestellt, lediglich freiwillig sein. Ein Tierwohllabel, das den Tieren wirklich nutzt, muss glasklar verpflichtende Standards setzen. Große Teile der industriellen Landwirtschaft, aber auch der von wenigen großen Anbietern dominierte Lebensmittelhandel, werden freiwillig allenfalls minimale Verbesserung vornehmen. Die Erfahrung zeigt: Ohne gesetzliche Vorgaben wird sich hier kaum etwas ändern.
Wir brauchen aber auch unabhängig von der Frage einer Tierwohlkennzeichnung eine deutliche Anhebung der gesetzlichen Tierschutzstandards sowie bundeseinheitliche Standards für die Landwirtschafts-, Veterinär- und Lebensmittelüberwachung. Das deutsche Tierschutzgesetz muss endlich weiterentwickelt werden. Andere europäische Staaten wie Schweden, Schweiz und Österreich gehen bereits deutlich weiter und bewerben Tierschutz sogar als Qualitätsvorteil. Hier hat Deutschland noch großen Nachholbedarf. Tiere dürfen nicht länger den Haltungsformen angepasst werden. Die Tierzucht darf nicht mehr auf die Höchstleistung von Lebewesen ausgerichtet werden. Tiere sind keine Industrieprodukte.
Ich bin mir sicher: Wenn hier keine grundlege Verhaltensänderung erfolgt, bewegt sich die Agrar- und Ernährungswirtschaft und der Lebensmittelhandel weiter ins gesellschaftliche Aus. Den Sonntagsbraten gibt es dann eben mit Soße, Sonntagsrede und aus Soja.