Vom Parteitag der SPD Anfang Dezember wurde vor allem über Personalentscheidungen, den Umgang mit der Koalition und einen nicht genauer definierten „Linksruck“ berichtet, der von vielen Kommentatoren mit Vergangenheitsbewältigung und dem Rückzug aus der politischen und gesellschaftlichen Mitte übersetzt wurde. Die eigentlichen Beschlüsse des Parteitags rückten dadurch in der Berichterstattung eher in den Hintergrund. Dabei steckt gerade im Sozialstaatskonzept viel mehr als nur eine Abkehr von Hartz IV um ihrer selbst willen.
Zum neuen SPD-Konzept gehören zwar auch zahlreiche Anpassungen, die langjährige Fehler der Agendapolitik ausbessern sollen: Wer länger gearbeitet hat, soll auch länger Arbeitslosengeld I erhalten, Vermögen und Wohneigentum von ALG II-Empfängern sollen für zwei Jahre unangetastet bleiben, das Existenzminimum soll sicher vor Sanktionen sein.
Vor allem geht es jedoch darum einen modernen Sozialstaat zu schaffen, der zu einer sich rasant verändernden Arbeitswelt passt.
Viele Menschen fragen sich angesichts des digitalen Fortschritts, ob es ihren Beruf in zwanzig Jahren überhaupt noch geben wird. Tatsächlich werden sich viele Berufe stark verändern oder komplett verschwinden, gleichzeitig werden jedoch viele neue Entstehen. Vor einem „Mangel“ an Arbeit, auf den man zum Beispiel mit einem bedingungslosen Grundeinkommen reagieren müsse so wie es mancher politische Mitbewerber fordert, braucht man zumindest keine Angst zu haben.
Arbeit ist mehr als nur reines Geldverdienen, sie bedeutet Emanzipation, gibt dem Einzelnen die Möglichkeit sich frei zu entfalten. Ein bedingungsloses Grundeinkommen, das viele Menschen letztlich nur auf einem existenzsichernden Niveau halten würde, könnte diese Bedürfnisse eher nicht erfüllen. Vor diesem Hintergrund muss die Arbeitslosen- zu einer Arbeitsversicherung umgebaut werden, die Rechte zur Fort- und Weiterbildung für Arbeitnehmer wie auch für Arbeitssuchende in den Vordergrund stellt. Auch die Stärkung der Tarifbindung, der betrieblichen Mitbestimmung und der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen, aber auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, etwa durch einen Rechtsanspruch auf Home Office und ein „Recht auf Nichterreichbarkeit“, welches Arbeitnehmer davor schützen soll in Zeiten von WhatsApp und Co. auch an den Wochenenden und nach Feierabend mit Aufgaben überfrachtet zu werden, müssen in den Mittelpunkt der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik rücken. Gleichzeitig müssen rechtliche Grundlagen für neue Formen der Arbeit geschaffen werden.
Ungefähr fünf Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung arbeiten etwa heute bereits als Crowdworker, bieten ihre beruflichen Dienste also über Internetplattformen an, die sie meist für kleinere Aufgaben an Firmen weitervermitteln – Tendenz steigend. Sie gelten als Solo-Selbstständige, sind also keine Angestellten der Plattform-Unternehmen. Wer zum Beispiel für „Lieferando“ Essen ausfährt, ist zwar wie ein normaler Arbeitnehmer weisungsgebunden (schließlich kann ich mir nicht aussuchen, ob und zu welchem Zeitpunkt ich jemandem seine Bestellung liefere), hat jedoch keine Schutzrechte und auch keinen Anspruch auf Mindestlohn oder Urlaub.
Lebenslanges Lernen, faire Löhne, starke Arbeitnehmerrechte und familienfreundliche Arbeitsbedingungen auch bei neuen Formen von Arbeit: so kann auch in der Arbeitswelt der Zukunft soziale Sicherheit geschaffen werden.