Die Situation für von Gewalt bedrohte Frauen hat sich durch die Corona-Pandemie noch weiter verschärft. Bei einem Gespräch in den Räumlichkeiten des Frauen-Notrufs Wetterau in Nidda sprach die sozialpolitische Sprecherin der hessischen SPD-Landtagsfraktion Lisa Gnadl mit der Leiterin des Wetterauer Frauen-Notrufs Christa Mansky und den Mitarbeiterinnen Jeanette Stragies und Christiane Wettig über die aktuelle Situation und Corona-bedingte Auswirkungen auf ihre Arbeit.
„Wir sind froh, schnell auf den Lockdown reagiert zu haben, früh Fördergelder beantragt und zahlreiche Spenden zu Beginn der Corona-Pandemie bekommen zu haben. Davon konnten wir den Frauen-Notruf mit Mikros, Laptops und Kameras ausstatten, sodass wir von Gewalt betroffene Frauen direkt weiter digital unterstützen und beraten konnten. Aber nicht überall in Hessen sieht es so aus, die Förderung ist ein reiner Flickenteppich“, erläutert Christa Mansky.
„Zu Beginn der Corona-Pandemie gab es zwei Wochen lang einen kompletten Einbruch der Hilferufe. Mittlerweile haben wir stark ansteigende Zahlen. Durch den Lockdown war es vielen Frauen nicht möglich, die Hilfe zu suchen, die sie brauchen. Ihre Partner waren durchgehend zu Hause und eine soziale Kontrolle durch Außenstehende wie beim Arbeitsplatz oder im Freundeskreis waren nicht möglich. Wir hatten teilweise winzige Zeitfenster, in denen die Frauen mal alleine waren und wir sie beraten konnten“, erzählt Jeanette Stragies. „Es kommt erst noch, dass die Decke über dieser Problematik gelüftet wird. Da werden noch viele Fälle kommen“, ergänzt Christa Mansky.
Ein weiteres Thema des gemeinsamen Gesprächs war die Umsetzung der Istanbul-Konvention. Seit Februar 2018 gilt dieses Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen in Deutschland. „Für die Umsetzung der Istanbul-Konvention ist es notwendig, dass Frauenberatungsstellen und Frauenhäuser auf einen neuen Level gebracht werden. Eine bedarfsgerechte Ausstattung und Finanzierung ist dafür unabdingbare Voraussetzung“, fordern die Mitarbeiterinnen des Wetterauer Frauen-Notrufs.
„Hierfür braucht es mehr als den Status Quo plus die Nothilfen in Corona-Zeiten. Wir brauchen in Hessen eine eigenständige Koordinierungsstelle zur Umsetzung der Istanbul-Konvention. Diese Koordinierungsstelle hat die SPD-Fraktion im Landtag bereits bei den letzten Haushaltsberatungen gefordert, damit die Umsetzung der Ziele der Istanbul-Konvention über alle beteiligten Ministerien besser vorangetrieben werden kann“, erläutert Lisa Gnadl ihre Forderung. „Außerdem muss das Personal von Frauenhäusern und Beratungsstellen dringend aufgestockt und ordentlich bezahlt werden. Das bedeutet sichere Arbeitsverträge und die Ausbezahlung von Überstunden. Das ist derzeit aufgrund der knappen Landesmittel nicht möglich.“ Aber auch der behindertengerechte Ausbau von Räumlichkeiten und die notwendige Schaffung der 300 fehlenden Familienzimmer in den hessischen Frauenhäusern sei für die Erfüllung der Istanbul-Konvention notwendig.
„Schwarz-grün muss endlich handeln. Dafür ist die Entwicklung eines Aktionsplanes zur Umsetzung der Forderungen aus der Istanbul-Konvention und die bedarfsgerechte Aufstockung der Gesamtmittel notwendig“, fordert Lisa Gnadl von der schwarz-grünen Landesregierung ein.
„Die Istanbul-Konvention muss als Chance auf eine grundlegende Veränderung des gesellschaftlichen Bewusstseins verstanden werden. Als Gesellschaftsveränderung mit dem Ziel, keine strukturelle Gewalt mehr gegen Frauen zuzulassen. Dafür müssen wir raus aus der Symptombehandlung und den Projektstrukturen, die nur regional und zeitlich begrenzt ansetzen. Wir brauchen eine effektive Ursachenbekämpfung“, fordern die Mitarbeiterinnen des Frauen-Notrufs.