Die SPD stellt sich neu auf

Es war vor zwei Jahren für viele eine große Überraschung, als nach einem langwierigen Auswahlprozess nicht Olaf Scholz und Klara Geywitz, sondern Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken bei der Mitgliederbefragung zum Parteivorsitz die meisten Stimmen erhielten. Die Partei stand damals in manchen Umfragen bei 12-13 Prozent, litt an der großen Koalition und schweren Verlusten bei Landtags- und Europawahlen. Dass die SPD nochmal an der Regierung beteiligt sein wird, geschweige denn stärkste Kraft bei der Bundestagswahl werden könnte, glaubte damals so gut wie niemand. Eher schien ausgemacht, dass eine schwarz-grüne Koalition eine komfortable Mehrheit erhält, während die SPD mit dem schlechtesten Ergebnis aller Zeiten in die Opposition geht. Diese Erwartungshaltung blieb lange bestehen, selbst in diesem Sommer wurde die Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz eher belächelt. Wie die Wahl am 26. September ausgegangen ist, wissen wir alle.

Der erfolgreiche Wahlkampf ist dabei nicht nur mit den Fehlern von CDU und Grünen zu erklären. Die SPD hatte den geeignetsten Kandidaten, ein gutes Programm und eine überzeugende Kampagne. Vor allem war sie jedoch geschlossen und hat keine öffentlichen Streitereien über Kandidat oder Programm geführt – und zwar auch dann nicht, als die Umfragewerte im Sommer immer noch auf das eben beschriebene Szenario hindeuteten. Genau dafür haben Parteispitze, Kanzlerkandidat und Fraktion fast zwei Jahre lang intensiv zusammengearbeitet und aus einer zutiefst verunsicherten Partei die stärkste Kraft im Deutschen Bundestag und (voraussichtlich) neue Kanzlerpartei gemacht.

Der Beitrag, den Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken dabei geleistet haben, wird in der Öffentlichkeit gerne unterschätzt. Ohne Norbert Walter-Borjans‘ Erfahrung, Ruhe und Zugewandtheit wäre vieles davon nicht möglich gewesen. Dass er nun angekündigt hat, nicht mehr als Parteivorsitzender kandidieren zu wollen, verdient in meinen Augen großen Respekt: dass Verantwortliche freiwillig Macht teilen oder abgeben, erst Recht aus einer Position der Stärke heraus, ist in der Spitzenpolitik eine Seltenheit. Dadurch wird auch nochmal deutlich, dass es Ihm zuallererst um die Sache und das Wohl der Partei ging und nicht um persönliche Ambitionen.

Ich freue mich sehr, dass seinem Wunsch (‚jetzt sollen mal Jüngere ran‘) entsprochen wird und der SPD-Vorstand Lars Klingbeil als neuen Parteivorsitzenden nominiert hat. Als Generalsekretär gehört er bereits seit vier Jahren der Parteiführung an und hat als Wahlkampfmanager entscheidend zum Erfolg bei der Bundestagswahl beigetragen. Ich bin mir sicher, dass er zusammen mit Saskia Esken den eingeschlagenen Weg fortsetzen und die SPD als moderne Volkspartei positionieren wird.

 

Dieser Text erschien am 13.11.21 als Kolumne in den Gelnhäuser Nachrichten.