
Neuer Wahlkreis, neues Gesicht: Mit der 54-jährigen Bettina Müller bewirbt sich für die Region Main-Kinzig, Wetterau und Vogelsberg eine neue Kandidatin um den Sitz im Bundestag. Als Bettina Müller gefragt wurde, ob sie für den Bundestag kandidieren möchte, war sie überrascht, denn sie dachte, dass ihr Leben in eine ganz andere Richtung gehen würde: Ihr Enkelkind wurde geboren, ihre Kinder sind aus dem Gröbsten raus und die familieneigene Kanzlei steht auf stabilen Füßen. So hätte es eigentlich weitergehen können.
Bettina Müller, warum wollen Sie in den Bundestag?
Bettina Müller: Wie oft erhält man in seinem Leben eine solche Chance? Schon immer hat meine Familie politische Diskussionen am Mittagstisch geführt. Dabei ging es auch gerne mal heiß her. Meine Erfahrungen daraus wollte ich unbedingt umsetzen. Das zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben. Ich möchte Politik für die Schwächeren unserer Gesellschaft machen und mich gezielt für den ländlichen Raum in Berlin einsetzen.
Sie sind Rechtsanwältin, haben aber auch eine Ausbildung zur Krankenschwester. Diese Kombination ist ungewöhnlich. Wie kam es dazu?
Bettina Müller: Mit 15 Jahren machte ich eine vierwöchige Ausbildung zur Schwesternhelferin und habe von da an immer im Krankenhaus gejobbt. Nach dem Abitur habe ich ein Germanistik-Studium begonnen, was mir aber so gar keinen Spaß machte. Als ich dann in den Semesterferien wieder in der Klinik jobbte, wurde mir schnell klar, dass es keinen Weg mehr zurück an die Uni gab. Ich blieb also im Krankenhaus. Damals war der Pflegeberuf allerdings noch so attraktiv, dass ich ein Jahr auf meinen Ausbildungsplatz warten musste. Während dieser Zeit habe ich dann als Schwesternhelferin weiter gejobbt. Doch nach meiner Ausbildung fehlte mir im Berufsalltag die Theorie. Jeden Tag die gleichen Tätigkeiten – das ist überhaupt nicht mein Ding. Also habe ich überlegt, ob ich doch noch mal studieren soll. Dann lernte ich meinen späteren Mann kennen und mit ihm die Juristerei. Er hatte gerade sein erstes juristisches Staatsexamen abgelegt und war Referendar am Jugendgericht. Das fand ich sehr spannend: Psychologie und soziale Aspekte. Als ich dann auch noch ein paar Mal an der Frankfurter Uni war und in Jura-Vorlesungen reingehört hatte, stand für mich fest, dass ich Jura studieren möchte.
Inwieweit spielt das für Sie in ihrem politischen Handeln eine Rolle?
Bettina Müller: Als gelernte Krankenschwester, Anwältin auf dem Land und Kommunalpolitikerin kenne ich die Bedürfnisse unserer Region in- und auswendig. Während woanders mit großem Tamtam Gipfel zur Bevölkerungsentwicklung auf dem Land abgehalten werden, sind wir Menschen aus dem Main-Kinzig-Kreis, der Wetterau und dem Vogelsbergkreis mitten drin im Geschehen.
Beunruhigt Sie der Demografische Wandel?
Bettina Müller: Demografischer Wandel klingt furchtbar wissenschaftlich. Es bedeutet nur, dass sich die Bevölkerung entwickelt. Was mich umtreibt, ist die Chancengleichheit zwischen den Menschen auf dem Land und in der Stadt. Wir sind nicht nur der Vorgarten von Frankfurt! Demografischer Wandel wird gerne als Ausrede dafür missbraucht, dass auf dem Land nichts passiert. Ich möchte daran mitarbeiten, uns fit für die Zukunft machen.
Wie wollen Sie uns fit für die Zukunft machen?
Bettina Müller: Indem man die Menschen von Geburt an stark macht und niemals damit aufhört. Ich wohne mit meiner Familie in einem Mehrgenerationenhaus. Vom Jüngsten bis zum Ältesten kümmern, fordern und fördern wir uns gegenseitig. Nur so funktionieren Gemeinschaften. Wir sollten jedem die Chance bieten, das Beste aus sich zu machen. Die Politik schafft dafür die Basis und sorgt für Gerechtigkeit. Um das zu verwirklichen müssen wir dafür sorgen, dass Familien in der Lage sind ihre Kinder aus eigener Kraft zu ernähren. Damit einher geht der gesetzliche Mindestlohn, eine Verbesserung der Infrastruktur im ländlichen Raum, ein größeres Netz an Geburts- und Kinderkliniken, Kinderärzten, Hebammen, aber auch Kinder- und Jugendhilfen und gute Kindergärten. Die Koalition hingegen wirft 1,2 Milliarden Euro für das Betreuungsgeld zum Fenster hinaus, anstatt das Geld den Kommunen für den Ausbau der Kinderbetreuung zukommen zu lassen. Hier leidet nicht nur die soziale Komponente, sondern auch die Demokratie. Bei uns Sozialdemokraten galt immer der Leitspruch: „Kein Kind wird zurück gelassen“ und der wird auch weiterhin gelten.
Also liegt ein großes Problem des Demografischen Wandels im ländlichen Raum.
Bettina Müller: Ja eindeutig. Aber nicht nur der Demografische Wandel stellt ein Problem dar, auch das Problem der schrumpfenden Dörfer dürfen wir nicht außer Acht lassen. Dieses Problem ist mir aus meinem Heimatort Flörsbachtal sehr gut bekannt: Steigende Infrastrukturkosten, Kosten für Abwasser, Strom und Wassernetze, Abwanderung der Post und von Geldinstituten und Geschäften. Weitere gravierende Probleme sind auch die Schwächung der Vereine, die wenigen Angebote für Kinder und Jugendliche, der Wertverlust der Häuser, die Probleme mit dem öffentlichen Nahverkehr, der Mangel an Haus- und Fachärzten. Im schlimmsten Fall werden unsere Dörfer oder Kleinstädte reine Wohnorte einer alternden Bevölkerung. So sieht die Zukunft aus, wenn wir nicht mit allen Kräften daran arbeiten, Lösungen zu finden. Vor allem müssen wir die gesetzlichen Vorgaben ändern, die den Dörfern das Leben schwer machen. Wenn man sich die Eigenkontrollverordnung für Abwasser und andere kostentreibende Vorschriften anschaut. Hier werden den Kommunen mit großen Leitungslängen bei dünner Besiedlung immense Kosten aufgebürdet. Und wir dürfen auch nicht müde werden, eines immer wieder zu betonen: Wir brauchen einen kommunalen Finanzausgleich, der diesen Namen verdient. Einen Ausgleich, der sich nicht nur nach der Einwohnerzahl richtet, sondern Besiedelungsdichte und Fläche mit einbezieht. Und wo es möglich und nötig ist, brauchen wir eine interkommunale Zusammenarbeit, um wichtige Einrichtungen zu erhalten. Beispiel ist das Konzept der vier Verbundschulen im östlichen MKK, das den Erhalt kleiner Grundschulen ermöglicht. Oder auch das Dependance – Modell von Ronneburg, Neuberg, Hammersbach und Limeshain. Durch die Zusammenarbeit der Kommunen wird es dort ermöglicht, mitten in den Ortskernen kleinere Pflegeeinrichtungen zu bauen. Dort können die Menschen in der gewohnten Umgebung bleiben.
Sie haben zu Anfang angesprochen, dass der Pflegeberuf zu Ihrer Ausbildungszeit noch attraktiver gewesen sei.
Bettina Müller: Ja so war es auch. Heute ist das Berufsfeld einfach nicht attraktiv genug. Mich wundert es nicht, warum wir einen akuten Pflegenotstand haben. Die Bundesregierung, insbesondere die CDU, schickt die Menschen zur billigen Pflege nach Osteuropa. Damit verlieren wir regelrecht Arbeitsplatzchancen in Deutschland. Gerade wenn man beachtet, dass die Krankenkassen einen 24 Milliarden Überschuss haben. Dieser Überschuss muss aber für die Versicherten und das Pflegepersonal genutzt werden. Aber im Gegenteil: Die Gesundheitsreformen der letzten Jahre sind zu Lasten dieser Menschen gegangen. Zuzahlungen für Krankenhausaufenthalt, Heil- und Hilfsmittel die Privatisierung von Leistungen für Zahnersatz, Vorsorgeuntersuchungen und so weiter haben die Bürger in den letzten Jahren mehr und mehr belastet. Hinzu kommt noch das Meisterstück von Philipp Rösler: 2010 hat er ein Reformgesetz verabschiedet. Das war der Ausstieg aus der solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung. Damit wird festgeschrieben, dass die Arbeitnehmer alle weiteren Ausgabensteigerungen alleine tragen müssen. Die Tendenz geht klar zu einer systematischen Privatisierung. Das nicht nur bei den Krankheitskosten, sondern auch bei der gesamten medizinischen Versorgung. Dazu passt übrigens die wenig beachtete Meldung, dass die Kassen zukünftig dem Kartell-bzw. Wettbewerbsrecht unterliegen sollen. Sie sollen also wie „Unternehmen“ behandelt werden. Die SPD positioniert sich klar gegen den Trend, alles und jeden zu privatisieren.
Sie sprechen immer wieder von Chancengleichheit für alle.
Bettina Müller: Das stimmt. Chancengleichheit ist mir ein persönliches Anliegen. Denn jeder Mensch sollte die Möglichkeit erhalten, das Beste aus seinem Leben machen zu können und das von klein auf. Egal welcher sozialen oder kulturellen Herkunft muss der Weg zu einer gerechten Bildung offen sein. Wir als SPD werden dafür Verantwortung tragen, dass es keine Studiengebühren gibt und die Kita-Gebühren nach und nach abgeschafft werden. Wir brauchen ein gerechtes Bildungssystem und das fängt schon in der frühkindlichen Bildung an. Jedes Kind muss individuell gefördert werden, um somit optimal sein Potenzial ausschöpfen zu können. Doch auch im Schulbereich muss durch ein besseres Ganztagsangebot und ein längeres gemeinsames Lernen Chancengleichheit und Gerechtigkeit entstehen. Durch die Ganztagsschule können wir unsere Kinder gezielt individuell fördern. Durch eine gezielte Verbesserung der Lehrer- und Erzieherausbildung und die Abschaffung des Betreuungsgeldes werden wir es schaffen können dies zu erreichen. Doch auch eine Ausweitung der Schulsozialarbeit wird damit einhergehen. Qualität von Schule war schon immer ein wichtiges Thema der SPD und dafür trete ich gerne ein. Das ist auch immer eine Frage der Gerechtigkeit…
…und wie sorgen Sie für mehr Gerechtigkeit?
Bettina Müller: Mit gleichwertigen Lebensbedingungen, gleichem Recht auf Bildung, fairer Entlohnung für Männer und Frauen. Faire Entlohnung ist immer noch das beste Mittel gegen Altersarmut. Es ist für mich zudem unbegreiflich, warum es immer noch Beschäftigte 1. und 2. Klasse gibt. Als Anwältin für Familien-, Sozial- und Betreuungsrecht komme ich oft mit den Schwächsten unserer Gesellschaft in Kontakt. Wir sollten uns daran messen lassen, wie es ihnen geht. Ich konnte als Kandidatin in den vergangenen Monaten viel mehr Einrichtungen im Wahlkreis besuchen, als es einer Privatperson möglich ist. Dabei ist mir eines ganz deutlich geworden: Das Thema Pflege kommt in allen Wahlprogrammen viel zu kurz. Da nehme ich meine Partei nicht aus, die sich noch mit am meisten um das Thema kümmert. Aber das reicht mir nicht. Eines meiner Herzensanliegen ist es, eine stärke Lobby für die Pflege nach Berlin zu bringen. Ansonsten wird uns diese Thematik, auch in diesem Wahlkreis, einholen.
Wie beurteilen Sie den neuen Wahlkreis?
Bettina Müller: Wieder so eine Herzensangelegenheit: Die Entscheidung zu kandidieren traf ich vor allem, weil der Wahlkreis zu mir passt. Ich stamme aus der kleinen Gemeinde Flörsbachtal. Wenn ich mit meinem Opel Coras zu einem Termin nach Schotten, Altenstadt oder Birstein fahre, dann sitze ich eine ganze Weile im Auto. Das gilt auch, wenn ich Einkaufen fahre oder beruflich unterwegs bin. Wir Landmenschen sind ungeheuer flexibel, wissen unsere Region zu schätzen und nehmen dafür auch weite Strecken in Kauf. Das gute Niveau und die Struktur unserer Region aufrecht zu erhalten wird ein Kraftakt. Da möchte ich mitmachen.